Große Nullrunde

Sonntag, 20. März 2011

Der Protest hat gewirkt: Der Antrag zur Aufhebung der Null-Toleranz im Saatgut wurde am 18.3. im Bundesrat mehrheitlich abgelehnt.

Noch am 28. Februar wurde der Antrag der Länder Niedersachsen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein im Agrarausschuss des Bundesrates einstimmig beschlossen. Der daraufhin ausbrechende Protest auf der Straße und im Internet bewegte schon vor dem Bundesrat-Plenum heute mehrere Ministerpräsidenten der Bundesländer dazu, sich klar für die Null-Toleranz von Gentechnik im Saatgut zu positionieren.

18.03.2011
Happy hour – grosse Nullrunde
von saveourseeds

Zum Schluß waren die Herren Mappus, McAllister und Carstensen heute wohl ganz alleine als der Bundesrat über ihren Antrag abstimmte, künftig die Gentechnikfreiheit des Saatgutes einer “für alle Wirtschaftsbeteiligten praktikablen technischen Lösung” zuzuführen. Dumm gelaufen für die Gentechnik-Lobby und erfrischend gut für jene, die der Meinung waren, dass Null auch Null heißt. Doch der Grabenkampf um das “zufällige und technisch nicht zu vermeidende” Auftauchen gentechnisch veränderten Saatgutes in Tüten, in die es nicht gehört, geht weiter. Next stop: Strassbourg.
Dass “Save Our Seeds” noch einmal Kurt Beck auf der Bühne der Gentechnikfreiheit würde begrüssen dürfen, hatte sich die BASF-Macht von Rheinland-Pfalz wohl so auch nicht vorgestellt. Heute stand der mit seiner Umweltministerin gleich neben dem grünen Umwelt- und Agrarminister von NRW, Johannes Remmel um laut und deutlich kund zu tun, dass er in Treue fest zur Nulltoleranz im Saatgut steht. Der hessische Minister für Bundesangelegenheiten, Michael Boddenberg (CDU) war noch nicht ganz in der Materie und sprach zunächst von einem “guten Kompromiss”, dem er zustimmen wolle. Man mußte ihm den Beschluss seiner Umweltministerin noch einmal soufflieren: “Wir stimmen dem Antrag von Niedersachsen nicht zu…”

Beck, Härlin, Remmel und weitere Laienschauspieler
65.000 Unterschriften in acht Tagen, über Nacht anberaumte Aktionen vor sechs Landtagen, Solidaritätsbriefe von grossen Unternehmen und eine breite Phalanx von Organisationen aller Art zeigen: Wenn es ums Saatgut geht, hört der Spaß auf. Und das ist, um mit Herrn Wowereit zu sprechen, dessen Bundesbeauftragte ebenfalls soldarisch das Protestpodium erklomm, gut so.
Schön ist auch, dass selbst die Freunde des “Praktikablen” in den letzten Tagen wieder und wieder wiederholten, es gehe ihnen keinesfalls um eine Aufhebung der Nulltoleranz, sondern nur um deren Machbarkeit. Politisch ist dies deshalb wichtig, weil im Agrarausschuss des Europaparlaments in dieser Woche der Antrag eines britischen Freundes der Gentechnik vermutlich auch mit Stimmen deutscher Abgeordneter angenommen wurde, der nicht etwa nur eine technische Null sondern gleich einen regelrechten Grenzwert fordert. Ob dieser Vorstoss im Plenum des Parlaments in Strassbourg scheitern wird, ist einigermassen fraglich. Umso wichtiger, den europäischen Mitgliedern der Null-Parteien – zumal der frisch gebackenen – auf die Finger zu sehen.
Ohne ins Detail gehen zu wollen, lohnt es sich vielleicht den Unterschied zwischen technischer Null und Grenzwert kurz zu erläutern. Die technische Null ergibt sich aus der Tatsache, dass absolute Sicherheit, in diesem Falle der Gentechnikfreiheit, in der Praxis totale Zerstörungbedeuten kann: Wenn alles Saatgut getestet wird bleibt nichts mehr auszusäen. Deshalb werden grössere oder kleinere Proben genommen und wenn sich in diesen keine gentechnisch veränderte DNA nachweisen läßt, folgt daraus nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit, dass im großen Ganzen nicht mehr als ein bestimmter Prozentsatz des in der Probe nicht gefundenen enthalten ist.
Mit diesem Restrisiko müssen wir leben. Die Frage, die heute im Bundesrat auf der Tagesordnung stand ist: Wer trägt dieses Restrisiko? Der Vorschlag der “Praktikablen” ist, leicht vereinfacht: Den trägt dann die Umwelt, der Bauer, die gentechnikfreie Firma, aber auf keinen Fall der Verursacher, nämlich das Saatgutunternehmen. Dem ist nur zuzumuten, dass es seine Hausaufgaben macht und wenn dann in einer Stichprobe dennoch Gentechnik gefunden wird, dann haben eben die anderen Pech gehabt. Sie bestehen auf der Wiederholbarkeit des Tests und weil die im Bereich unter 0,1 Prozent nicht immer gegeben ist, im Zweifelsfall für eine gewisse “Toleranz” und zwar für Monsanto.

Saatgutprüfung vor dem Bundesrat
Ein Grenzwert dagegen hieße: Bis zu diesem Grenzwert, sagen wir 0,1 Prozent (die Gentechniklobby sagt gleich mal 0,9 Prozent, wenigstens aber 0,3), darf das Unternehmen Gentechnik in seinem Saatgut liefern, selbst wenn ihm dies bekannt und bewußt ist und braucht das dennoch dem Bauern nicht einmal zu sagen. Weil nach den oben erwähnten Gesetzen der Wahrscheinlichkeit die Frage ob es nun 0,1% oder doch etwas mehr sind, erst recht nicht sicher sagen läßt, könnte ein solcher Grenzwert dazu führen, dass aus 0,1 dann schnell auch mal 0,5 oder mehr werden.
Aber das will ja, wie wir nun schon mal erfahren haben, hier in Deutschland wirklich keiner. (Gar keiner? Da schauen Sie lieber nochmal nach im Brief des Generalsekretärs des Deutschen Bauernverbandes an die EP-Abgeordneten, der aber vielleicht nicht für die deutsche Öffentlichkeit bestimmt war.) Hier geht es “nur” um die Frage ob Saatgut immer und überall gentechnikfrei sein muss oder ob in Zweifelsfällen nicht vielleicht doch ein praktikables Auge zugedrückt werden kann … um von diesem Stein dann möglichst zügig auf den nächsten zu springen. So jedenfalls hatte sich das wohl der Bund Deutscher Pflanzenzüchter gedacht, als er schrieb die Nulltoleranz sein heute einfach nicht mehr zeitgemäß und sich darin wohl gründlich irrte: Sie ist vielleicht auch deshalb heute zeitgemäßer als je zuvor, weil Restrisiken gegenwärtig aus ganz anderen, entsetzlichen Gründen nicht besonders leicht genommen werden.
Dass ausgerechnet Baden-Württemberg auf den schlüpfigen Pfad der gewollten Unschärfe gekommen ist, ist wenn nicht tragisch so doch nicht ganz ohne Ironie. Tatsächlich gehören die Behörden in Württemberg und insbesondere in Baden zu den schärfsten Kontrolleuren der Saatgutreinheit und haben lange bevor andere dies ebenfalls darüber auch ausführlich öffentlich berichtet. Und dass Herr Mappus und sein Landwirtschaftsminister Köberle nun ausgerechnet den Amtsleiter dieser durchaus rechtschaffenen Behörde dazu verdonnert, die Kastanien für ihre zweifelhaften politischen Absichten aus dem Feuer zu holen, sagt wohl v.a. etwas über ihre Vorstellung von Krisenmanagement aus.
Wenn Ihnen jetzt ein wenig schwindlig sein sollte und erst recht, wenn sie problemlos folgen konnten, dann werden Sie vielleicht mit mir zu dem Schluss kommen: Wehret den Anfängen oder, wie der Zahnarzt sagt: Vorbeugen ist besser als Bohren.
Für heute wollen wir uns erst mal freuen, dass der Schmerz nachläßt und eine ganz, ganz grosse Koalition für eine ganz, ganz grosse Null zustande kam.
Mehr dazu, wie immer, unter www.saveourseeds.org