Tunnelblick aufs Genom

Wer blickt über den Tellerrand?

Genschere
 – Das Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs spaltet die Agrarbranche.
Welches Potenzial hat die neue Gentechnik für die Pflanzenzucht?
Angela Lieber DER FREITAG, 22.11.2018

Virusresistente Gurken, allergenfreie Erdnüsse, Mais, der Trockenheit und Hitze besser übersteht: Die Liste an aktuellen Forschungsprojekten ist lang, ebenso wie die Vorteile, die sich Züchter und Saatgutunternehmen rund um den Globus vom Einsatz neuer biotechnologischer Verfahren in der Landwirtschaft versprechen. Mit Hilfe sogenannter „Genome-Editing-Methoden“ wie der Genschere CRISPR/Cas kann das Erbgut von Nutzpflanzen präzise und innerhalb kürzester Zeit verändert werden. Von solchen Obst- und Gemüsesorten könnten nicht nur hierzulande Landwirte und Verbraucher profitieren. Auch global gesehen würde ein wichtiger Beitrag zur Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung geleistet – so die Befürworter der neuen Techniken. Zudem könnten Pestizide eingespart, Inhaltsstoffe von Lebensmitteln bedarfsgerecht verändert werden. Holger Elfes, Pressesprecher bei Bayer CropScience, fasst die Potenziale der neuen Technologien zusammen: „Wir erwarten eine drastische Beschleunigung bei der Züchtung neuer Sorten, die beispielsweise weniger anfällig gegen Krankheiten, Schädlinge oder Trockenheit sind – und natürlich einen höheren Ertrag erzielen.“ Züchtungszeiträume, die derzeit bis zu zehn Jahre und länger dauern, könnten mit den neuen Methoden halbiert werden. „So können die Landwirte schneller auf neu auftretende Pflanzenkrankheiten oder sich verändernde Klimazyklen reagieren.“

Von kranken Äpfeln …

Angesichts dieser vielversprechenden Möglichkeiten hatten zuletzt selbst einzelne Vertreter der Bio-Branche die Frage aufgeworfen, ob man den Einsatz der neuen Verfahren prinzipiell ablehnen solle – zumal ihr Eingriff ins Erbgut weniger schwerwiegend sei, als jener im Rahmen der klassischen Gentechnik. Denn während bei letzterer teils DNA von Bakterien oder Tieren in das Genom von Mais, Raps oder Soja eingeschleust wurde, kommt bei den neuen Technologien nur selten artfremde DNA zum Einsatz. Stattdessen können die eigenen Gene zielgerichtet verändert oder Gene verwandter Arten ins pflanzliche Erbgut übertragen werden. Auch Urs Niggli, Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (Fibl) in der Schweiz, hatte sich zuletzt für den Einsatz der Genschere CRISPR/Cas ausgesprochen, um Äpfel resistent gegen Apfelschorf zu machen – eine der bedeutendsten Apfelkrankheiten weltweit. Hierzu schlug er vor, das Resistenzgen des japanischen Holzapfels (malus floribunda) gezielt in die heutigen Kulturäpfel einzuführen. (Lebensmittelzeitung 06/2018).

Für Obstbauer und Apfelzüchter Hans-Joachim Bannier aus Bielefeld ein ärgerlicher Vorstoß. So würde schon beim Blick auf die Geschichte der modernen Apfelzüchtung deutlich, dass diese Idee im Grundsatz falsch sei – „zu glauben, man könne durch ein einzelnes Gen eine Spezies retten, die längst eine riskante Entwicklung genommen hat“, meint Bannier, und erklärt: „Seit rund 80 Jahren wird weltweit fast nur noch mit fünf Apfelsorten und deren Nachkommen gezüchtet: Golden Delicious, Cox Orange, Jonathan, McIntosh und Red Delicious. Diese Sorten sind deshalb so beliebt, weil sie häufiger blühen und dementsprechend höhere Erträge liefern – allerdings nur, wenn man sie massiv spritzt.“ Eigentlich seien die Äpfel hoch krankheitsanfällig. Und erst seit die chemische Industrie ab 1930 die passenden Pestizide dazu geliefert habe, sei es plötzlich möglich geworden, sie im großen Stil anzubauen. „Als man die Sorten in den 80er-Jahren aber auch im Bio-Anbau eingesetzt hat, wurde schnell klar, dass sie viel zu häufig von Krankheitserregern befallen wurden“, erzählt Bannier weiter. Doch statt sich nun wieder auf die alten, etwas weniger ertragreichen, dafür aber deutlich robusteren Apfelsorten zurückzubesinnen, habe man einfach das schon damals bekannte Resistenzgen des japanischen Holzapfels auf klassischem Weg in die krankheitsanfälligen Kulturäpfel eingekreuzt. „Und zwar genau das gleiche Gen, das man jetzt schon wieder in ihr Erbgut übertragen will – nur eben per Gentechnik“, meint Bannier kopfschüttelnd. Am Anfang habe die Taktik mit dem Resistenzgen zwar durchaus funktioniert, doch heute sei der Apfelschorf vielerorts zurück. „Sobald die Pilze das Gen einmal durch Mutation umgangen haben, bricht die Immunität der Äpfel zusammen – auch, weil ihr übriges Erbgut so anfällig ist: nicht nur für den Apfelschorf, sondern auch für Mehltau und sonstige Krankheiten.“

Kurzfristige „Lösungen“

Bannier betrachtet die aktuellen Entwicklungen in der Pflanzenzucht daher mit großer Sorge. Auch bei anderem Obst und Gemüse stünden heute vor allem krankheitsanfällige Sorten im Vordergrund, die nur unter Dauereinsatz von Pflanzenschutzmitteln erfolgreich seien. „Das ist ein Flächenbrand! Und jetzt wollen die Gentechniker hingehen und hier ein bisschen, da ein bisschen was löschen, indem sie einzelne Gene in eine ansonsten kranke und genetisch verarmte Sorte setzen!“ Natürlich könne man auf diese Weise immer wieder „Lösungen“ anbieten – und verkaufen. „Solche Resistenzen halten aber nicht lange. Schädlinge und Erreger durchbrechen sie ziemlich schnell.“ Anders sei dies bei vielen traditionellen Sorten, die auch heute noch im Streuobst zu finden seien. „Bei diesen Sorten sind fast immer mehrere Gene gemeinsam für die Immunität verantwortlich, etwa beim ‚Seestermüher Zitronenapfel‘. Der ist nicht nur ertragreich, sondern auch multi-resistent gegen Schorf, Mehltau und Obstbaumkrebs.“ Dass solche Äpfel heute dennoch kaum ein Züchter kennt, ist für Bannier eine echte Fehlentwicklung: „Wir haben zwar bestens ausgebildete Molekulargenetiker, aber alte Sorten, die kennt keiner mehr“, schimpft er. „Die kann man auch an keiner Uni oder Fachhochschule mehr studieren“ – einer der vielen Gründe, warum sich der Apfelzüchter gegen das Verschwinden und Vergessen der alten Zuchtformen engagiert. Regelmäßig führt er Besucher durch seinen Obstbaumgarten, in dem mehr als 300, teils vergessene Sorten gedeihen – und das ganz ohne Pestizide. Bannier ist überzeugt: „Was wir heute brauchen, ist ein Zurück zu standörtlich angepassten und genetisch vielfältigen Sorten. Klar ist dieser züchterische Weg mühsam. Aber die vermeintlich schnellere Gentechnik wird die Probleme der modernen Landwirtschaft langfristig nicht lösen können!“

Auch Felix zu Löwenstein, Biobauer und Vorsitzender des Öko-Dachverbandes Bund Ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) übt Kritik am „Tunnelblick aufs Genom“ – wie er es formuliert. Als er zum ersten Mal von CRISPR & Co gehört habe, sei die Rede davon gewesen, dass man ein Bananenvirus durch genetische Manipulation in Schach halten wolle. „Kein Mensch hat damals die Frage gestellt, wie schlau es eigentlich ist, dass wir weltweit mit einer einzigen Bananensorte unterwegs sind, die noch dazu in riesigen Plantagen – Banane, Banane, Banane, Banane – angebaut wird“, so Löwenstein. „Wir haben mit der industriellen Landwirtschaft unglaublich instabile Systeme geschaffen. Und wenn wir die jetzt noch ein bisschen weiter retten, indem wir an der Genetik der Pflanzen rumbasteln, dann gehen wir am eigentlichen Problem vorbei.“ Für ihn gehe es daher auch nicht darum, ob Genome Editing prinzipiell gut oder schlecht sei. Die Frage sei doch vielmehr, ob sich eine Technologie dazu eigne, ökologisch stabile Systeme zu schaffen. „Mal ganz davon abgesehen, dass es auch Risiken gibt, die man mit großer Vorsicht abschätzen muss.“

Gentechnik – ja oder nein?

Es waren eben jene potentiellen Risiken, die die Richter des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Ende Juli in Luxemburg dazu veranlasst hatten, sämtliche Genome-Editing-Verfahren dem Europäischen Gentechnikrecht zu unterstellen und alle daraus hervorgehenden Produkte (Pflanzen und Tiere) als genveränderte Organismen (GVO) zu regulieren. Monatelang war zuvor darüber spekuliert worden, ob die neuen Technologien nicht doch als konventionelle Züchtungsmethoden eingestuft und somit ohne Sicherheitsbewertung und Kennzeichnung freigegeben werden würden. Umso mehr freut sich Martin Häusling, Abgeordneter im EU-Parlament und agrarpolitischer Sprecher der Fraktion Grüne/EFA, über das klare Urteil: „Jetzt müssen alle Pflanzen, die mit den neuen Verfahren gezüchtet werden, vor ihrer Zulassung auf eventuelle Risiken hin überprüft werden.“ Außerdem gebe es eine Kennzeichnungspflicht und damit auch die Wahlfreiheit des Verbrauchers, derartige Produkte zu kaufen oder nicht. „Ich bin erleichtert, dass der EuGH im Sinne des Vorsorgeprinzips und der Nachprüfbarkeit entschieden hat“, so Häusling. „Konsumenten können jetzt keine gentechnisch veränderten Produkte untergejubelt bekommen und Züchter wissen, mit welchem Material sie es zu tun haben.“

Beim Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) hält sich der Enthusiasmus hingegen in Grenzen. „Das Urteil hat uns überrascht. Wir haben uns immer für eine differenzierte Bewertung der neuen Züchtungsmethoden ausgesprochen, nach der in einigen Fällen gentechnisch veränderte Organismen entstehen, in anderen aber nicht“, kommentiert Verbandsvorsitzende Stephanie Franck. Schon im Vorfeld des EuGH-Urteils war eine heftige Diskussion darüber entbrannt, ob es im Falle einer Regulierung nicht auch Ausnahmen geben könne. So werden durch Genome Editing in manchen Fällen lediglich Punktmutationen ausgelöst – ähnlich einer Mutation in der freien Natur (z. B. durch UV-Licht) oder Mutationen im Rahmen traditioneller Züchtungsverfahren. Und solange sich ein Genom-editiertes Produkt nicht von einem Produkt aus klassischer Zucht unterscheiden lasse, müsse es auch nicht gesondert reguliert werden – so die Argumentation der Befürworter.

Für Michael Antoniou vom King’s College in London eine Debatte mit beunruhigenden Zügen: „Genome Editing ist immer ein laborgestützter, genetischer Modifikationsprozess und führt daher per se zu einem gentechnisch veränderten Organismus“, so der Wissenschaftler, der seit mehr als 30 Jahren in der humanmedizinischen Gen-Forschung arbeitet. Behauptungen, man müsse nur das Ergebnis betrachten und nicht den Prozess, durch den ein Produkt entstünde, seien alles andere als wissenschaftlich und potenziell gefährlich. Gerade die Methode sei in der Wissenschaft absolut entscheidend. „Wenn man von diesem Grundsatz abrückt, werden mögliche Nebenwirkungen und ihre Folgen komplett ignoriert!“ Und dass es solche Nebenwirkungen geben kann, davon ist der Molekulargenetiker überzeugt.

Fehlende Risikoforschung

Egal ob ZFN, TALEN, ODM oder CRISPR/Cas: Alle Genome-Editing-Verfahren laufen prinzipiell nach einem ähnlichen Schema ab. Zuerst muss im riesigen Genom der Pflanze jene Stelle gefunden werden, die verändert werden soll. Dazu werden im Labor spezielle „Sonden“ konstruiert, die das Erbgut absuchen, um an der gefundenen Zielsequenz anzudocken. Anschließend wird der DNA-Doppelstrang mit Hilfe eines an die Sonde gekoppelten Enzyms aufgeschnitten (daher der Begriff „Genschere“). Als Reaktion auf den Schnitt treten die zelleigenen Reparaturmechanismen der Pflanze in Kraft, um den DNA-Bruch wieder zu „flicken“. Und genau diesen Prozess macht man sich nun zunutze, um die gewünschte Veränderung herbeizuführen – beispielsweise eine Punktmutation oder auch das Hemmen oder Aktivieren eines bestimmten Gens.

Doch obwohl die meisten Genome-Editing-Verfahren die Genstruktur an einer vorherbestimmten Stelle ändern und dadurch sehr präzise und zielgenau sind, gibt es mögliche Fehlerquellen – wie Wissenschaftler Antoniou erklärt. So könne es neben Schnitten an unbeabsichtigten Orten im Erbgut auch zur Störung benachbarter Gene neben der eigentlichen Ziel-Schnittstelle kommen. Außerdem könnten selbst beabsichtigte Veränderungen zu unvorhergesehenen biochemischen Reaktionen führen. „All das kann das Ernährungsprofil einer Pflanze von Grund auf verändern – bis hin zur möglichen Toxin- und Allergenproduktion.“

Auch Christoph Then, Geschäftsführer von Testbiotech, einem Institut in München, das sich kritisch mit den neuen biotechnologischen Verfahren auseinandersetzt, fürchtet potentielle Risiken: „Natürlich ist es theoretisch möglich, dass durch Genome Editing auch Pflanzen entstehen, die keinerlei Schaden anrichten.“ Entscheidend seien jedoch die Möglichkeiten, die das System berge. „Man kann damit auch ganze Synthesewege ausschalten oder komplette Genfamilien löschen, die der bisherigen Züchtung nicht zugänglich waren.“ Und auch das Argument, dass die seit den 70er-Jahren erlaubte klassische Mutagenese (Züchtungstechniken, die mit Chemikalien oder Bestrahlung arbeiten) den genetischen Code einer Pflanze viel umfänglicher verändern würde, findet er nicht schlüssig: „Dabei nutzt man ja trotzdem noch jene Mechanismen, die die Evolution für Mutationen entwickelt hat. Bei der neuen Gentechnik greifen wir hingegen direkt auf der Ebene der DNA ein – das ist noch mal eine ganz andere Eingriffstiefe,“ sagt Then, der vor allem die fehlende Risikoforschung in Deutschland kritisiert: „Aktuell gibt es fast keine staatlichen Forschungsprogramme dazu.“

Eine Tatsache, die auch Molekular-Genetiker Antoniou auf internationaler Ebene bemängelt: „Diejenigen, die an der Entwicklung solcher Pflanzen arbeiten, scheinen nahezu blind an ihre eigene Propaganda für Präzision und Vorhersagbarkeit und damit an die Sicherheit ihrer Produkte zu glauben – ohne die nötigen Untersuchungen zu machen, um ihre Position zu beweisen.“ Aus seiner Sicht ist das EuGH-Urteil daher klar zu begrüßen – vor allem für den Verbraucher: „Denn jetzt gibt es eine angemessene Regulierung und Sicherheitsbewertung dieser Produkte.“

Im Patent-Dschungel

Doch was bedeutet die EuGH-Entscheidung für klein- und mittelständische Pflanzenzüchter in Europa? Schließlich hatten viele von ihnen große Hoffnungen in die neuen Technologien gesetzt – nicht zuletzt auch deshalb, weil sie deutlich kostengünstiger anzuwenden sind als die Verfahren der klassischen Gentechnik. Ein Mithalten mit den großen Saatgutunternehmen schien so plötzlich möglich. Dementsprechend enttäuscht zeigte man sich nach der Urteilsverkündung beim Bund Deutscher Pflanzenzüchter: „Jetzt müssen alle Pflanzen, die mit Hilfe der neuen Züchtungsmethoden entwickelt werden, das zeitlich und finanziell aufwändige Zulassungsverfahren durchlaufen“, so Verbandsvorsitzende Franck. Vor diesem Hintergrund sähen die Pflanzenzüchter nur wenig Perspektiven für die Nutzung der Methoden bei der Entwicklung neuer Sorten.

„Es stimmt, dass die EU-Zulassung für gentechnisch veränderte Pflanzen Zeit und Geld kostet“, räumt Christoph Then ein, „aber ich glaube nicht, dass dies ein absolutes Markthindernis für kleinere Unternehmen ist, wenn die sich ausrechnen, dass sie hinterher Produkte haben, die von Landwirten und Verbrauchern auch tatsächlich nachgefragt werden.“ Nicht überlebensfähig seien diese „Kleinen“ jedoch im Umfeld von Patenten. So sind alle Genome-Editing-Anwendungen – im Gegensatz zu den traditionellen Züchtungsverfahren – prinzipiell patentfähig. „Und hier stecken die großen Konzerne gerade massiv ihre Ansprüche ab: ‚DowDuPont‘ hat schon jetzt rund 50 internationale Anmeldungen eingereicht ‚Baysanto‘ etwa 30, und auch Calyxt, Syngenta und BASF mischen ordentlich mit.“ Nur einige wenige Patente seien bislang hingegen von kleineren Züchtern angemeldet worden.

Für Heike Moldenhauer, ehemals Leiterin des Bereichs Gentechnik beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), ein klares Indiz dafür, dass eine Deregulierung der neuen Techniken die Wettbewerbsfähigkeit der kleinen Züchter nicht gestärkt hätte – im Gegenteil: „Die Kleinen könnten zwar forschen und entwickeln, aber sobald sie eine Sorte zur Marktreife führen und kommerziell anbieten wollten, hätten sie sich mit der Patentfrage auseinanderzusetzen – und im besten Fall Lizenzgebühren zu zahlen oder im schlimmsten Fall ein Patentverletzungsverfahren am Hals.“ Generell könnten sich das Patentsystem aus teuren Anwälten und Rechtsstreitigkeiten nur große Konzerne mit den entsprechenden finanziellen Mitteln leisten. Das glaubt auch Christoph Then und verweist auf das Beispiel der USA: „Dort haben die Patente in Zusammenhang mit der klassischen Gentechnik dazu beigetragen, dass die mittelständischen Pflanzenzüchter fast komplett verschwunden sind.“ Wer also tatsächlich wolle, dass die neuen Verfahren auch von kleineren Züchtern genutzt werden könnten, müsse zuerst die Patente abschaffen. Heike Moldenhauer plädiert daher für eine entsprechende Änderung der EU-Patentrichtlinie: „Hierzu müsste allerdings die EU-Kommission initiativ werden – doch es gibt zu wenig Druck aus den Mitgliedstaaten. Oder zu viel Lobbying der Profiteure vom Status quo.“

Herausforderungen der Zukunft

Wie geht es künftig also weiter? Ist Genome Editing mit seinen möglichen Chancen, aber auch Risiken in Europa nun ausgebremst? Heike Moldenhauer ist überzeugt, dass es für Agrarunternehmen schwieriger werden wird, Genom-editiertes Saatgut in Europa zu verkaufen. „Denn das muss jetzt als ‘gentechnisch verändert‘ gekennzeichnet und vermarktet werden, ebenso wie die daraus entstandenen Pflanzen und Produkte.“ Ein Umstand, der auch Folgen für den Importsektor haben wird. So sind in den USA schon heute einige wenige Genom-editierte Produkte ohne Regulierung und Sicherheitsbewertung freigegeben. Für eine entsprechende Zulassung in Europa müsste ihre gentechnische Herkunft nun offen kommuniziert werden – inklusive transparenter Nachweisverfahren. „Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs verpflichtet die EU-Kommission, die für Europa geltenden Gesetze auch gegenüber unseren Handelspartnern durchzusetzen“, kommentiert Moldenhauer. „Alles andere wäre ein klarer Rechtsbruch.“

Was die Pflanzenzucht an sich betrifft, so darf natürlich auch weiterhin mit den neuen Technologien geforscht und gezüchtet werden – auch in Europa. „Die Richter haben ja keine Wertung für oder gegen Genome Editing abgegeben. Sie haben nur zutreffend festgestellt, dass die Verfahren und Produkte unter das derzeit gültige Gentechnikrecht fallen“, erklärt Felix zu Löwenstein. Und es gibt durchaus schon eine Reihe vielversprechender Projekte, die auf das mögliche Zukunftspotenzial der neuen Technologien hinweisen, etwa im Bereich der Dürre- und Hitzetoleranz von Nutzpflanzen. So ist es beispielsweise Forschern in den USA gelungen, die Toleranz von Mais gegenüber Wassermangel zu erhöhen, ebenso wie jene von Sojabohnen. Heike Moldenhauer bleibt dennoch skeptisch: „Noch ist keine einzige neue Kulturpflanze mit diesen Eigenschaften auf dem Markt.“ Gerade Toleranz-Merkmale seien hochkomplex und beruhten auf dem Zusammenspiel zahlreicher genetischer Faktoren. Aus diesem Grund sei das herkömmliche, ganzheitlich arbeitende Kreuzen besser geeignet, um derartige Eigenschaften zu erzielen. „Die Realität der bisher mit Genome Editing entwickelten Produkte sind ein herbizidresistenter Raps, der den Chemieeinsatz auf dem Acker sogar noch steigert, und ein nicht bräunender Champignon, dem man sein Alter nicht mehr ansieht“, so Moldenhauer. Sie persönlich glaubt daher nicht, dass die neue Gentechnik die Lösung für die aktuellen und künftigen Herausforderungen in der Landwirtschaft liefern kann – ebenso wenig wie Molekulargenetiker Antoniou: „Mit der Gentechnik wird zwar mehr verdient, weil sie patentiert wird. Sie ist aber nicht das, worauf wir gewartet haben – auch nicht mit Blick auf die restliche Weltbevölkerung.“ Gerade in den ärmeren Regionen Afrikas und Asiens führe gentechnisches Saatgut vor allem dazu, dass das Jahrhunderte alte Wissen über regionale Sorten ausgelöscht würde und sich die Abhängigkeit der Bauern durch die Patente weiter verschärfe. Anders sei dies bei ökologischen Bewirtschaftungsmethoden, die keinerlei patentgeschützte Technologien erforderten. Durch ihren Einsatz blieben die Fähigkeiten und das Wissen der Bauern vor Ort erhalten. „Und das ist die eigentliche Basis für die weltweite Ernährungssicherheit.“

Diskussionsbedarf

Dass mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes schon endgültig das letzte Wort gesprochen ist, glaubt Heike Moldenhauer vom BUND nicht: „Für die großen Unternehmen geht es um ein Milliardengeschäft. Ich vermute daher, dass sie darauf drängen werden, das Gentechnikrecht in ihrem Sinne zu ändern und eine neue Gentechnik-Definition einzuführen, die Genom-editierte Pflanzen davon ausnimmt.“ Auch Christoph Then von Testbiotech bleibt nachdenklich: „Ein Großteil der Bevölkerung ist nach wie vor kritisch gegenüber der Gentechnik eingestellt, aber bislang hatten wir auch noch relativ wenig Diskussionen über die neuen Verfahren. Ob und wie sich die Gentechnik in Europa durchsetzen wird, bleibt abzuwarten“, sagt Then – und fügt hinzu: „Wir stehen erst am Anfang und nicht am Ende der notwendigen gesellschaftlichen Debatte!“

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