Nichts für schwache Nerven: Der EU-Saatgutkrimi.

Magdalena Prieler ARCHE NOAH (Österreich) Referentin für Saatgut-Politik schreibt am 9. März 2024:

Hier (in Brüssel) überschlagen sich die Ereignisse: Schon am Montag findet die erste wichtige Abstimmung zum neuen EU-Saatgutrecht im Umwelt- Ausschuss des Europäischen Parlaments statt. Ein Termin, in dessenVorbereitung wir die EU-Abgeordneten monatelang informiert und mit ihnen Detail um Detail des Gesetzesvorschlages verhandelt haben. Und vor wenigen Tagen, wie aus dem Nichts heraus, sind plötzlich „Alternative compromise amendments“ aufgetaucht – ein großes Paket bisher unbekannter und sehr gefährlicher Änderungen am Gesetzesvorschlag. Hier muss massiv von der Agrochemie-Industrie lobbyiert worden sein!

Bäuerliche Rechte und Erhaltungsarbeit
Einige der EU-Abgeordneten haben überraschend einen Alternativ-Vorschlag zum monatelang verhandelten überparteilichen Kompromiss im Umwelt-Ausschuss vorgelegt. Nach erster Durchsicht des Textes sind wir erschüttert: Die Tätigkeiten von Erhaltungs-Organisationen wie ARCHE NOAH sollen in eine „museale“ Nische gedrängt werden. Eine Weitergabe von samenfestem traditionellem Saatgut z.B. an Landwirt:innen wäre demnach nicht mehr möglich. Auch die von uns geforderte Einhaltung der bäuerlichen Rechte würde fallen: Bäuer:innen dürften selbst gezogenes Saatgut nicht mehr verkaufen und etwa auch Obst-Edeleiser nicht einmal mehr kostenlos weitergeben. Die Sortenzulassung soll weiterhin mit einem hohem Bürokratie-Aufwand verbunden und damit auf Industrie-Sorten zugeschneidert bleiben. Und sie soll sogar noch um Greenwashing-Elemente ergänzt werden, mit denen ein angeblich hoher „Wert“ dieser industriellen Sorten behauptet wird. So soll von den negativen Auswirkungen der industriellen Landwirtschaft auf Böden, Grundwasser und Biodiversität abgelenkt werden. Wir merken ganz eindeutig, das hinter diesem „Alternativen Vorschlag“ die Interessen der Agrochemie-Konzerne und ihre geschulten, versierten und allseits präsenten Lobbyisten stecken.

Wie die Abstimmung am Montag unter den neuen Voraussetzungen ausgehen wird, wissen wir nicht. Wir lassen aber keine Minute verstreichen und kein Telefonat unversucht, um die EU-Abgeordneten weiterhin mit unseren Argumenten für die Vielfalt zu überzeugen. Wir aktivieren einmal mehr das Netzwerk zu europäischen Partner-Organisationen, damit auch diese mit ihren Länder-Vertreter:innen Kontakt aufnehmen und diese informieren können. Wir schieben eine Sonderschicht für die Vielfalt ein! Und alles das kostet auch zusätzliches Geld, obwohl unsere Mittel jetzt schon sehr knapp sind.

Mit herzlichen Grüßen aus Brüssel
 
Magdalena Prieler
ARCHE NOAH Referentin für Saatgut-Politik


Dazu auch eine sehr gute Arte-Doku von 2009
Die Saatgut-Retter, Film von Anja Glücklich
In nur 100 Jahren gingen aufgrund von Monokulturen über 75 Prozent der biologischen Vielfalt verloren. So liegen in allen Supermärkten dieselben Obst- und Gemüsesorten in den Regalen. Die Saatgut-Konzerne züchten Sorten, die die Landwirte nach jeder Ernte neu hinzukaufen müssen. Doch Landwirte und Wissenschaftler kämpfen europaweit um den Erhalt von biologischer Vielfalt.